Aleksandra SOWA: "Menschheit 3.0. Internet der Dinge. Oder: die Welt ohne Menschen"

"Menschheit 3.0. Internet der Dinge. Oder

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Aleksandra SOWA

Leitete zusammen mit dem deutschen Kryptologen Hans Dobbertin das Horst-​​Görtz-​​Institut für Sicherheit in der Informationstechnik. Sowa ist Autorin diverser Bücher und Fachpublikationen und begleitete u.a. als Mitglied der Internet Redaktion die Wahlkampftour des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder.

Ryc.: Fabien Clairefond

Andere Texte

„Die drei Gesetze der Robotik:
  1. Ein Robot darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen.
  2. Ein Robot muss den Befehlen eines Menschen gehorchen, es sei denn, solche Befehle stehen im Widerspruch zum Ersten Gesetz.
  3. Ein Robot muss seine eigene Existenz schützen, solange dieser Schutz nicht dem Ersten oder Zweiten Gesetz widerspricht.“
    (Isaac Asimov, „Spiegelbild“ in: Alle Roboter-Geschichten)

.Wenn der französische Philosoph, Frédéric Gros, von technischer Utopie der sichernden Selbstregulierung spricht, dann meint er das „Internet der Dinge“. Regulierend, weil es eine Interaktion zwischen den Dingen ermöglicht, die untereinander ohne menschliches Eingreifen kommunizieren: Die Autos regulieren selbst ihre Geschwindigkeit im Verkehr und parken selbstständig ein; die Kühlschränke bestellen fehlende Produkte direkt im Supermarkt und stellen das Menü für das Abendessen zusammen; die Fenster schließen und öffnen sich automatisch, abhängig von der Zeit und Wetterbedingungen, etc. Sichernd, weil die Vorgänge von menschlichem Eingreifen frei sind. Alle Dinge werden ihre Tätigkeiten durch das Netzwerk gegenseitig anpassen, ohne von bewusster menschlicher Steuerung abhängig zu sein. Ein sicheres Vorgehen, weil es von Nachlässigkeit, Unaufmerksamkeit, Vergesslichkeit oder verlangsamter Reaktionsfähigkeit des Menschen frei ist. Alles, was dem menschlichen Willen ähneln könnte, wird in der Utopie des Internets der Dinge abgelehnt, als „parasitäre Willkür, unerträglicher Zufall, verunsichernde Störung“[1], so Gros. Alles reguliert sich selbst, es ist keine Überraschung zu befürchten. Das ungehinderte fortdauernde Funktionieren des Internets der Dinge im Zeitalter der „vollkommen nummerischen Sicherheit“ sollte nicht von menschlicher Unzulänglichkeit oder Langsamkeit gestört werden.

„Ein Tag wird kommen, an dem alle Beziehungen zwischen den Menschen und den Dingen, zwischen den Menschen selbst automatisch reguliert werden“[2], ist sich Gros sicher. Doch in dieser Welt wird auch Ihrem Kardiologen mitgeteilt, dass Sie eine Zigarette geraucht haben, oder Ihr Auto wird sich weigern, im Parkverbot stehen zu bleiben.[3]

Deus ex machina

.Es ist eine Welt der doppelten Enthumanisierung: Nicht nur die menschliche Arbeit wird durch Algorithmen und Maschinen ersetzt, auch sein Wille und seine Entscheidungen. Denn nur ohne Ingerenz des Menschen kann das Internet der Dinge störungsfrei und sicher funktionieren. Die technische Utopie wird von menschlicher Dystopie begleitet. Während die Regierungen und Unternehmen unaufhörlich an der Weiterentwicklung der technischen Utopie – ob am Internet der Dinge oder seiner kleinen Schwester, Industrie 4.0 – arbeiten, gerät der hauptsächliche Nutznießer dieser Entwicklung – nämlich der Mensch – zunehmend aus dem Fokus. Immer neue Berufe werden durch Automatisierung entfallen, konstatierten Constanze Kurz und Frank Rieger in Arbeitsfrei. Den Callcenter-Agenten werden weitere, bisher als unantastbar erachtete Berufszweige folgen, wie der des Arztes, des Anwalts, des Beraters und schließlich auch der des Managers. Die Vision John Maynard Keynes, dass die Menschen künftig nur drei Stunden am Tag arbeiten müssen, war ein Begleitumstand des allgemeinen Wohlstands – nicht der einer zunehmenden Verarmung, Verschuldung und des Elends, wenn der Wegfall der Erwerbstätigkeit mit dem Wegfall des Einkommens gleichkommt.

Bei gegenwärtigen Konzepten des Internets der Dinge oder Industrie 4.0 dominiert der Eindruck, dass der Aufschwung der Technik ein autonomer Prozess geworden ist, dem die Menschen lediglich beiwohnen dürfen. Die Technik sei zu einer autarken Entität geworden, einem „Technium“[4], wie der Mitbegründer und Herausgeber des Magazins Wired, Kevin Kelly, dieses Phänomen taufte. Doch es gibt alternative Konzepte, bei welchen die Technologie immer noch die Rolle eines Mittels, eines Instruments, spielt, das die Lebensqualität der Menschen (nicht einer kleinen Minderheit der reichen Menschheit) verbessern sollte.

Vom Homo sapiens zum Homo technologicus

.Der Enthumanisierung und Selbstregulierung durch das Internet der Dinge steht beispielsweise das im Jahr 2005 vom Autor und Futurist (heute Leiter der technischen Entwicklung bei Google), Ray Kurzweil, in seinem Werk Menschheit 2.0 popularisierte Konzept der Singularität entgegen. Gemeint ist der Zeitpunkt der Fusion von Technologie und menschlicher Intelligenz, deren Eintreten der Autor auf etwa das Jahr 2045 prognostizierte. In dieser Welt wird sich der Mensch in ein halb biologisches, halb informatisches (bzw. mechanisches) Wesen verwandeln, das mit dem Internet verbunden ist.

Eine solche Welt der Zukunft zeichnet der kanadische SF-Autor, Peter Watts, in seinem Roman Blindflug[5]. Sein Held und Ich-Erzähler, Siri Keeton, wurde in seiner Kindheit wegen Epilepsie einer Gehirnoperation unterzogen, bei welcher die für die Krankheit verantwortlichen Hirnbereiche entfernt wurden. Ein in der Welt der Zukunft ungefährlicher, doch nicht allgemein akzeptierter Eingriff, der ihn zu einer zombiähnlichen Existenz als Außenseiter zwingt. Die Operation hat ihn nämlich auch der Emotionen und des Mitgefühls gegenüber anderen Menschen beraubt. Im erwachsenen Alter macht ihn diese Eigenschaft zum gefragten Experten. Er wird Synthesist – Translator und Schnittstelle zwischen künstlicher Intelligenz und den Menschen. Er kann deren Gedanken für den normalen Menschen übersetzen, ohne den Inhalt nachvollziehen zu müssen. Diese Fähigkeit macht ihn zu einem potenziellen Kontaktspezialisten, sollte es bei der Erkundungsexpedition im Weltraum, welcher er im Blindflug beiwohnt, zu einer Begegnung mit einer außererdischen Zivilisation kommen.

In Konzepten wie diesen wird der Mensch nicht durch Maschinen ersetzt, sondern kann sich mittels Technologie verbessern, steigern, die Schwächen bzw. Nachteile seiner menschlichen Natur zum Vorteil ausgleichen. Er bekommt eine Art Upgrade oder Tuning verpasst. Was zunächst nur wie Science Fiction klingt, ist allerdings heute bereits in einigen Bereichen, wie dem Gesundheitswesen, Realität. Der Herzschrittmacher zählt beispielsweise hierzu. Manche dieser Geräte sind mittels einer App steuerbar und haben eine einmalige IP-Adresse. Es wäre denkbar, dass sich mit ähnlichen Schnittstellen die Denkkapazität oder Entscheidungsgeschwindigkeit eines Menschen beeinflussen ließe. „Bereits heute gibt es Headsets, die gegen geistige Ermüdung bei der Arbeit schützen, indem sie das Gehirn durch Stromschläge stimulieren“[6], berichtete Alexandre Lacroix von seinem Besuch im Silicon Valley. Sie wurden bisher nur noch nicht zugelassen.

Veni, vidi, vici: Google besiegt Krebs

.Internetreisen wie Apple und Google haben hieraus einen neuen Wirtschaftszweig erschaffen: die „digitale Medizin“ alias „Mobile Health“. Im vergangenen Jahr brachte Apple die paramedizinische Plattform „Health Kit“ auf den Markt; Google führte etwas später „Google Fit“ ein. Das Unternehmen setzte sich das unglaubliche Ziel, den Krebs besiegen zu wollen. 2014 patentierte Google ein Armband, das Krebszellen erkennen und zerstören soll.[7] Die Technologie, genannt „Nanoparticle Phoresis“, soll mittels eines magnetischen Feldes erkennen, ob sich im Blut bösartige Krebszellen befinden und diese anschließend verändern oder zerstören können. Der Vorteil der Technologie liegt in der Früherkennung von Krebserkrankungen, wodurch sich die Überlebenschancen von Patienten steigern lassen. Laut Patent könnte das Armband auch im Kampf gegen Parkinson zum Einsatz kommen. Experten sehen darin sogar eine Möglichkeit für die Bekämpfung von HIV. Google soll mit dem Pharmaunternehmen Novartis an einer Kontaktlinse, die die Blutzuckerwerte von Diabetikern überwacht, zusammenarbeiten.[8]

Das Konzept der technischen Singularität greift jedoch noch weiter, indem es sich an die Grenzen menschlicher Existenz heranwagt. Im Jahr 2045 werden wir voraussichtlich die Möglichkeit haben, uns unsterblich zu machen, indem wir, laut Kurzweil, unser Bewusstsein auf einen Computer überspielen. Für diejenigen, die nicht so lange warten können, gibt es heute schon eine Lösung: Für wenige Hundert Dollar im Jahr kann man sich bei Cryonics Institute[9] eine Option erkaufen, um den Tod vorläufig zu täuschen. Stirbt man – beispielsweise bei einem Autounfall –, wird der Körper schockgefroren und eingelagert – und ggf. in günstigeren Zeiten wiederbelebt.

Quo vadis, Mensch?

.Braucht man überhaupt noch selbst fahrende Autos, wenn der Fahrer sich mithilfe von Implantaten, Prothesen oder Mensch-Maschine-Schnittstellen eine schnellere Reaktionsfähigkeit und bessere Fahrkünste zulegen kann? Oder besser noch: wenn er unsterblich ist, also de facto weder selbst in einem Autounfalls endgültig sterben noch jemanden ernsthaft umbringen kann?

Unsere Moral verändert sich, schrieb Stanislaw Lem, denn sie wird von der Technologie beeinflusst. So würde sich laut Lem unsere Einstellung gegenüber dem Mord (eben wie dem Ausmaß der Strafe für einen Mörder) verändern, wenn man die Menschen wiederbeleben könnte. Demzufolge wird auch der Ruf nach einer Ethik für die künstliche Intelligenz, für Algorithmen und Maschinen laut. Computern sollte eine Art „Strafgesetzbuch“ implementiert oder eine ethische Dimension für die Entscheidungsprozesse eigebettet werden. Von der Unmöglichkeit, künstliche Intelligenz mittels einfacher und logischer Gesetze zu steuern, hat eindrucksvoll eine ganze Dynastie von Roboterpsychologen in den Roboter-Geschichten von Isaac Asimov berichtet. Auch aus der realen Welt sind Bedenken zu vernehmen. Peter Watts hat in der Diskussion über militärisch genutzte Drohnen und Kampfroboter in den USA gar die Frage gestellt, ob den Maschinen höhere Standards abverlangt werden sollten als den Menschen.[10]

Ein weiterer, noch nicht ausführlich betrachteter Aspekt ist die „Sicherheit 2045“ (so nennen wir die Sicherheit in der Epoche der Singularität). Unternehmen wie Google und Apple setzen auf die Sammlung und Analyse großer Mengen von Gesundheitsdaten; zahlreiche Gadgets ermöglichen inzwischen die Bestimmung von mehr und mehr Körperwerten. Apple hat beispielsweise seine Plattform „Health Kit“ zum Zentrum für die Apple Watch erklärt und zu Testzwecken ein unternehmensinternes Gesundheitszentrum für die Mitarbeiter gestartet.[11] Diese Daten sind heute das Ziel sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Begehrlichkeiten. Die Unternehmen wollen sie für Marketingzwecke und individualisierte Produktangebote verwenden – für viele sind Daten eine Ware, die auf dem freien Markt dem Meistbietenden offeriert wird. Staaten und Regierungen können sie zu Kontroll- oder Invigilation-Zwecke verwenden. Frederic Gros gab zu bedenken: „[D]er Imperativ der Aufrechterhaltung einer öffentlichen Ordnung oder des Personenschutzes beeinträchtigt bald die bürgerlichen Freiheiten.“[12] Im Namen öffentlicher Ordnung und des Staatswohls ist die Versuchung der Regierungen stark, die Grundfreiheiten, das Privatleben der Menschen oder die gerichtlichen Garantien zu ignorieren.

Je stärker die Interaktion zwischen Mensch und Maschine, desto schwieriger ist es, die technischen von privaten, personenbezogenen Daten zu trennen. Personenbezogene Daten sind im Rahmen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung geschützt; die Grenzen der Verarbeitung setzt in Deutschland das Bundesdatenschutzgesetz: Es gilt zuerst das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Für technische Daten gelten ähnliche Einschränkungen nicht. Das selbst fahrende Auto beispielsweise sammelt eine Menge von Daten über das Fahrzeug, die Fahrt und den Fahrer. Der Verband Deutscher Automobilindustrie (VDA) ließ daher im aktuellen Positionspapier zum Datenschutz erkennen, dass er die technischen Daten, welche in Fahrzeugen gesammelt werden, nicht als personenbezogene Daten betrachtet. Datenschützer halten (noch) dagegen[13].

Tl;dr

Die Vision, dass der Mensch durch die Automatisierung und Robotik selbst besser, schneller, gesünder, leistungsfähiger und intelligenter sein kann, ist sehr verlockend. Bisher hat aber die Digitalisierung uns höchstens zu Buchhaltern, Reiseverkäufern, Paketboten und Personalverwaltern gemacht, indem immer weitere Verwaltungsschritte an die Nutzer, Konsumenten, Beschäftige etc. verlagert werden. Ermahnend wirken in diesem Zusammenhang die Worte des Begründers der Kybernetik, Norbert Wiener: „Es ist einfacher, eine Galeere oder eine Fabrik in Gang zu setzen, die menschliche Individuen nur mit einem geringen Bruchteil ihres Wertes beansprucht, als eine Welt zu schaffen, in der sie sich voll entfalten können.“

Aleksandra Sowa

[1] Gros, F. 2015. Die Politisierung der Sicherheit. Matthes & Seitz: Berlin, S. 232.
[2] Ebd., S. 248.
[3] Vgl. ebd., S. 232.
[4]http://kk.org/thetechnium/ (Zugrif: 8.4.2015)
[5]Watts, P. 2008. Blindflug. Heyne Taschenbuch.
[6] Lacroix, A. 2015. Unternehmen Unsterblichkeit. In: Philosophie Magazin Nr. 03/2015, 26–33, S. 29.
[7] Schröder T. 2014. „Googles Armband soll den Krebs besiegen“. Wired.de. https://www.wired.de/collection/latest/google-patentiert-armband-zur-krebstherapie, letzter Zugriff: 08.04.2015.
[8] Ebd.
[9]http://www.cryonics.de/home.htm (Zugriff: 8.4.2015)
[10] Watts, P. 2014. „Kres zbrodniom wojennym“. In: Nowa Fantastyka 2/2014, S. 73.
[11] Schröder T. 2014. „Googles Armband soll den Krebs besiegen“. Wired.de. https://www.wired.de/collection/latest/google-patentiert-armband-zur-krebstherapie, letzter Zugriff: 08.04.2015.
[12] Gros, F. 2015. Die Politisierung der Sicherheit. Matthes & Seitz: Berlin, S. 245–246.
[13] Schultzki-Haddouti, C. 2015. Interview zum Datenschutz: „Daten im Auto sind personenbezogen“ (08.04.2015). In: Stuttgarter Zeitung, http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-zum-datenschutz-daten-im-auto-sind-personenbezogen.f75156e1-ba48-4934-aa18-2db3937cdf6b.html, letzter Zugriff: 09.04.2015.

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