Bürger, schützt Euch selbst! „Konzeption Zivile Verteidigung“ der Bundesregierung
Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges legt die deutsche Regierung eine Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) vor, in der die Bevölkerung angehalten wird, „einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln von zehn Tagen vorzuhalten“. Im Klartext: Bürger, helft Euch selbst!
4,9 kg Getreide, Brot, Kartoffeln, Nudeln und Reis. 5,6 kg Gemüse und Hülsenfrüchte. 3,6 kg Obst und Nüsse. 3,7 kg Milch und Milchprodukte. 2,1 kg Fisch, Fleisch, Eier (oder Volleipulver, das mehrere Jahre haltbar ist – frische Eier sind dagegen nur begrenzt lagerfähig). 0,5 kg Fette und Öle sowie 28 l Getränke. Diese Menge an Nahrungsmitteln empfiehlt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn als Zweiwochenvorrat pro Person. Für den Notfall. Hinzu kommt ein zusätzlicher Raum in Ihrem Haus oder in Ihrer Wohnung. Wird zwar nicht empfohlen – jedenfalls nicht explizit –, ist dennoch notwendig, um alle diese Vorräte irgendwo sicher verstauen zu können. Das BBK sagt auch nicht, erklärt der Präsident Christoph Unger, dass jeder sich eine Stromversorgungsanlage aufbauen sollte. Im Notfall gäbe es schließlich auch noch Feuerwehr und Polizei. Obwohl man auch da, gibt Unger zu, noch nachbessern müsse.
Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges legt die deutsche Regierung eine Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) vor, in der die Bevölkerung angehalten wird, „einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln von zehn Tagen vorzuhalten“. Hinzu kommt auch ein Vorrat an Kohle, Briketts oder Holz, solarbetriebene Batterieladegeräte und Bargeldreserven „zur Überbrückung kurzfristiger Stromausfälle“. Überraschend, dass kein Kanister Benzin auf der Liste steht. „Die letzte […] Neukonzeption der Zivilen Verteidigung erfolgte im Jahr 1995 und war von der sicherheitspolitischen Entspannung nach Beendigung des Kalten Krieges geprägt“, erklärt das BMI. „Infolge der Terroranschläge 2001 und des Sommerhochwassers 2002 einigten sich Bund und Länder […] im Jahr 2002 auf eine ‚Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung‘.“ Anno Domini 2016 ist es endlich da: „Das konzeptionelle Basisdokument für die ressortabgestimmte Aufgabenerfüllung im Bereich der Zivilen Verteidigung und zivilen Notfallvorsorge des Bundes“. Spekuliert wird darüber, ob es nun Zufall war, dass die Konzeption ausgerechnet kurz nach den Anschlägen in München, Würzburg, Ansbach und Reutlingen kam. Trotz der Versicherung des Bundesinnenministers Thomas de Maizière, dass das beschlossene Papier „keine Reaktion auf eine aktuelle terroristische Bedrohungslage sei“.
Resilienz steht im Mittelpunkt der aktuellen Strategie der Bundesregierung für den Not- und Katastrophenfall. Im Klartext: Bürger, helft Euch selbst! Nach zwei Tagen Stromausfall trete heute schon eine Katastrophenlage ein, auf die man vorbereitet sein sollte. Mit Vorräten, Notfallapotheke, Hygieneartikel und batteriebetriebenem Radio, alles für zehn bis 14 Tage ausreichend. Unabhängig von der öffentlichen Versorgung, wie BBK stets betont. „Das Telefon ist tot, die Heizung springt nicht an, warmes Wasser fehlt, der Computer streikt, die Kaffeemaschine bleibt aus, das Licht ist weg“, zählt das BBK im Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen auf. Dennoch gibt es keine staatliche Förderung oder Hilfe, wenn sich jemand auf dem Dach eine Fotovoltaikanlage aufbauen oder Strombatterien im Keller installieren möchte. Auch für die „Hamsterkäufe“, wie die Netzöffentlichkeit sofort die Empfehlung zur Anschaffung von Lebensmittelvorräten getauft hatte, gibt es keine zusätzlichen Gelder oder Steuererleichterungen.
.Der Staat – und daraus macht auch der BBK-Präsident Unger kein Geheimnis – ist nicht mehr in der Lage, alleine die Daseinsvorsorge für seine Bürger zu gewährleisten. „Wir brauchen Wirtschaft“, sagte er auf der öffentlichen Lesung in Bonn. Denn im Gegensatz zu den Zeiten des Kalten Krieges befinden sich nach den Wellen der Privatisierung viele kritische Systeme und Infrastrukturen – Wasser und Energieversorgung, Transportleistungen, Postzustellung und Telekommunikation – in privater Hand. Die Zusammenarbeit mit großen Unternehmen lobte der BBK-Präsident. Viele der DAX-Konzerne habe eigene Krisenstäbe und Lagezentren, mit denen sie die Daseinsvorsorge des Unternehmens und seiner Mitarbeiter im Not- oder Krisenfall im In- und Ausland gewährleisten können. Oft auf Grundlage gesetzlicher Verpflichtungen, wie sie beispielsweise von der BaFin für die Finanzbranche erlassen erlassen wurden. Doch es gibt viele mittelständische Unternehmen, an die das BBK nicht herankommt.
Nicht nur die Privatisierung hat sich gegen den effektiven Bevölkerungsschutz gestellt. Auch die demografische Entwicklung. Sie sei am Rückgang ehrenamtlicher Einsatzkräfte und der „Leistungsfähigkeit des ehrenamtlich getragenen Systems“ schuldig. „Deshalb ist bereits jetzt Vorsorge zu treffen für eine Entlastung des Systems durch die Stärkung der Eigenverantwortung und die Selbstschutzfähigkeiten der gesamten Bevölkerung“, heißt es in der Konzeption. „Eigenverantwortung sinnvoll wahrzunehmen, setzt ein entsprechendes Wissen über die relevanten Risiken, die Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Leistungsfähigkeit sowie die notwendigen Selbstschutz- und Selbsthilfefähigkeiten voraus“, stellt das BMI fest und teilt mit, dass der Bund „ergänzende Ausbildungsmaßnahmen für den Zivilschutz“ durchführen und finanzieren wird. Mit einer Einschränkung: Es handelt sich dabei um Aus- und Fortbildungen für „administrative und politische Entscheidungsträger, Führungskräfte, Fachkräfte und Multiplikatoren“. Was geschieht mit dem Rest der Bevölkerung? Die Antwort versteckt sich im Wörtchen „selbst“. „Ein Teil der Vorsorge für Not- und Krisenfälle kann auch die Bevölkerung selbst übernehmen“, sagt der Innenminister. Oder, wie es der österreichische Bestsellerautor Marc Elsberg auf seiner Lesung in Bonn erklärte: Die Menschen wollten mehr Mitbestimmung, dann sollten sie sich vorher informieren. Heute gäbe es dafür viel mehr Möglichkeiten als beispielsweise in den Zeiten des Kalten Krieges.
„Stärke erlangt man […] durch kluge Vorbereitung“ – widerspricht de Maizière dem „jüngst in Teilen der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck, die Bundesregierung würde Bürgerinnen und Bürgern explizit zu „Hamsterkäufen“ anraten“. Die öffentliche Aufregung über das „Hamstern“ war dennoch für den BKK-Präsidenten Unger eine prima Kampagne für das neue Bevölkerungsschutzkonzept. Ob es auch nachhaltig sei, bleibt jedoch abzuwarten. Problematisch sei, dass man bei den Erwachsenen mit dem Thema Notfallvorsorge nicht weiterkomme, klagt Unger, weswegen das BBK Kinder als seine Zielgruppe entdeckt hat. Kommt der Zivilschutz jetzt als Fach in die Schulen? Das empfiehlt das Innenministerium nicht. Nicht explizit, jedenfalls. Kerzen, Taschenlampe, Reservebatterien: Man müsse selbst Verantwortung übernehmen, auf solche Situationen wie Stromausfall vorbereitet zu sein, rät das BBK.
.Auch wenn die deutschen Nachbarn, müde der tausendjährigen Geschichte ständiger Überfälle durch die Deutschen und anschließender Kriege mit ihnen, mit etwas Schadenfreude beobachten dürften, wie die deutschen „Tornado“-Kampfjets wegen technischer Probleme nicht abheben können oder die Regierung die Zivilverteidigung nicht in den Griff bekommt, so ist das Problem der schwindenden Macht der demokratischen Regierungen und ihre Unfähigkeit, die Bevölkerung vor den aktuellen Gefahren zu schützen, wie sie mit entwaffnenren Offenheit zugibt, nicht nur ein deutsches Problem. Auch wenn die lebenslang militarisierten Schweizer über „die Deutschen“ und ihren Innenminister, der nach den Anschlägen keine Fragen beantwortete, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern, schmunzeln: Es verwundert wenig, dass Aufrufe von Parteien wie der AfD, die für die Liberalisierung des Waffenrechts eintritt, damit sich die gesetzestreuen Bürger gegen das Unrecht zur Wehr setzten können, auf fruchtbaren Boden fällt. Laut der Konzeption braucht der Staat FÜNF Tage bis zur „Installation staatlicher Einzelmaßnahmen“. Für so lange mindestens sollen die Bürger „geeignete Maßnahmen“ zur Eigen- und Erstversorgung einleiten und zwei Liter Wasser pro Person und Tag vorhalten.
Eventuell sollte man sich für den Notfall direkt mit Hochprozentigem eindecken, mit dem man nicht nur trinken, sondern auch heizen und im Zweifelsfall sogar erste Hilfe leisten kann. Marc Elsbergs Weinvorräte würden nach Aussage des Bestsellerautors für mehr als die vorschriftsmäßigen zwei Wochen reichen. Dem Beispiel eines Mannes, der mit seinem Thriller „Blackout“ uns in die Abgründe eines Stromausfalls führte, sollte man folgen. Vorräte an Alkohol werden vom Innenministerium dennoch nicht empfohlen. Jedenfalls nicht explizit.
Aleksandra Sowa, Natalia Marszalek