"Straffe muss sein! Ein Armband konditioniert seine Träger mit Stromschlägen"
Für die Quartalszeitschrift Nowe Media schrieb ich kürzlich über die Risiken und Chancen des Internet der Dinge und der Industrie 4.0. Es ging um selbstfahrende Autos und Getreidemäher, lernende Algorithmen – und Prothesen für die Menschen. Sowohl diese, die unseren Körper vervollständigen oder ergänzen können (wie der netzgesteuerte Herzschrittmacher mit eigener IP-Adresse) als auch Upgrades für kognitives Denken (ähnlich wie IBM’s Watson), schnelleres Rechnen oder Massendatenauswertung. Ich schrieb:
.„Möglicherweise brauchen wir heute eher ethische Prothesen als selbstfahrende Autos oder kommunizierende Kühlschränke. Laut Alexandre Lacroix, wurden in Sillicon Valley bereits Kopfhörer entwickelt, die vor geistiger Übermüdung bei der Arbeit schützen indem sie mit leichten Stromschlägen das Gehirn stimulieren.[1] Sie wurden nur noch nicht zur Nutzung zugelassen. Intelligente Armbänder könnten demnach auch Indikatoren des nichtethischen Verhaltens messen und bei unmoralischen Verhalten des Armbandbesitzers diesen mit Stromschlägen bestraffen. Wearables sind heute zu einem modischen Gadget geworden, mit welchem sich Politiker und Manager gerne abbilden lassen. Die Erweiterung der Funktionen bestehender Sportbänder um Messwerte, die unethischen Verhalten zuordenbar sind, wäre vermutlich heute schon möglich.“
Der Vorschlag war natürlich nicht ernstgemeint. Wer würde schon Manager dazu verpflichten können, solche Bänder zu tragen. Geschweige denn, dass man zuerst eine Reihe von Freiwilligen bräuchte, die die Big Data Speicher mit Informationen füllen, damit die am ehesten mit unethischen Verhalten (positiv oder negativ) korrelierten Indikatoren (Erhöhung oder Senkung der Herzfrequenz, Adrenalinausstoß, Gänsehaut, etc.) bestimmt werden können.
Doch ich irrte.
.Denn kurz danach erfuhr ich, dass es diese Bänder schon gibt. Zwar noch als Prototyp, aber man kann sie bestellen und testen. Mit – nicht lebensgefährlichen – Stromschlägen bis zu maximal 350 Volt kann sich der Besitzer des Pavlok-Armbandes für „schlechtes“ Verhalten bestrafen. So kann man sich das Rauchen von Zigaretten abgewöhnen, das ungesunde Essen oder Fingernägelkauen abstellen, werben die Konstrukteure von Behavioral Technology Group. Mehr ist mithilfe einer speziell dafür konzipierten App möglich. Dort können weitere korrigierbare Verhaltensmuster definiert werden, bspw. Angewöhnung rechtzeitigen Aufstehens oder das Fernbleiben von den zeitraubenden Webseiten. Der Erfolg – die erwünschte Veränderung des Verhaltens – tritt nach Angaben des Herstellers in meisten Fällen in weniger als fünf Tagen ein.
Dass das Band ausgerechnet Pavlok heißt ist kein Zufall.
Der russischer Forscher, Iwan Petrowitsch Pawlow, zeigte in einem Experiment, dass man das Verhalten eines Hundes – und folglich auch eines Menschen – konditionieren kann. Der „Pawlowsche Hund“ (eigentlich waren es zwei) reagierte auf den Stimuli „Schritte des Besitzers“ (der ihn futterte) mit Aktivierung des Verdauungssystems. Später weckten die Schritte des Besitzers die Erwartung des Futterns – auch ohne das Futter.
Nun konditioniert das Pavlok-Band die Besitzer mit Bestraffung – und erzieht sie so zum besseren bzw. erwünschten Verhalten. Ein Konzept, dass nicht neu ist, denn er wird schon seit mehr als zwei Tausend Jahren von einer anderen Institution erfolgreich praktiziert – von der katholischen Kirche. Das Konzept der Beichte, Buße und Absolution beispielsweise basiert auf freiwilliger Selbstbestrafung – das Maß der Straffe setzt allerdings der geweihte Priester, fest.
Ob nun fünf Mal Ave Maria, Pilgerfahrt nach Rom oder eine Spende für das Dach der Kirche – das Strafmaß richtet sich nach der Schwere der Sünden – und dem Ermessen des die Beichte abnehmenden Geistlichen. Jährliche Beichte bzw. Buße, bevorzugt zur Osterzeit, wird vom Katechismus als notwendig für das Überleben Seele erachtet – auch wenn man sich keiner schweren Sünde bewusst ist. Von dieser catharsis-ähnlichen Selbsterfahrung konnten die Katholiken weder Martin Luther noch die Reformation abbringen.
Dass die katholische Kirche – bei allem Reformbestreben – das Pavlok-Armband künftig einsetzt ist eher unwahrscheinlich. Es geht dabei weniger um das Arbeitsmoral und Auslastung der Beichtväter (laut Kirchenstatistik sind die katholische und evangelische Kirche in Deutschland der zweitgrößte Arbeitgeber – nach dem öffentlichen Dienst[2]). Was das Pavlok-Band nicht gewährleisten kann, ist das Beichtgeheimnis, das laut Artikel 9 des Konkordates[3] unverletzlich ist (Can. 983 – § 1 Codex Iuris Canonici, 1987). Geistliche sind demnach nicht verpflichtet, Straftaten (auch schwere oder geplante Straftaten), die ihnen im Rahmen der Beichte anvertraut worden sind, staatlichen Stellen gegenüber anzuzeigen. Das Risiko, dass die Pavlok-Daten über gerauchte Zigaretten, verzehrte Süßigkeiten, Seitensprünge etc. irgendwo zur Optimierungszwecken gesammelt werden, ist groß. Die Verführung der Internetkonzerne, solche Daten zu sammeln, zu verwerten oder zu verkaufen, ist noch größer.
.Der schier unstillbare Datenhunger der Internetkonzerne, Versicherungen und Behörden ist möglicherweise einer der Gründe, warum gerade die deutschen Hersteller der Wearables immer exzessiver auf den Datenschutz verweisen. So auch im Fall des die Körperhaltung korrigierenden Arbeitsanzuges – einer Sensorkleidung, die den Träger (aktuell ist der Anzug für Schweiß- und Elektroarbeiten beim Schiffbau und für die Arbeit bei medizinischen Rettungsdiensten ausgelegt; die Technik lässt sich aber auch an andere Aufgabenstellungen anpassen) vor körperlicher Fehlhaltung oder Überbelastung schützen soll[4]. Der Anzug wird im Rahmen eines zweijährigen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 1,1 Millionen Euro geförderten Projekts von einem Konsortium um die Firma Budelmann Elektronik aus Münster entwickelt. Der sogenannte „Sensoranzug zur individuellen Rückmeldung körperlicher Aktivität”, kurz SIRKA, erkennt Fehlhaltungen und schädliche Bewegungsabläufe, die zu Überbelastung des menschlichen Muskel- und Knochen-Apparats führen können.
Beim Prototyp zeichnen die Sensoren die Bewegungsabläufe der Arbeiter auf. Die Daten werden dann von Ärzten oder Physiotherapeuten ausgewertet. Bei problematischen Bewegungsmustern folgt die Empfehlung gesunder Alternativen oder Hilfsmitteln. Der Anzug wird aktuell in einer Werft getestet. Künftig soll SIRKA so programmiert werden können, dass er seinen Träger automatisch im Fall einer Fehlhaltung durch ein Audiosignal warnt, damit dieser seine Körperhaltung korrigieren kann. Darüber hinaus soll der Anzug die Gesamtbelastung am Arbeitstag speichern.
Sobald der Beitrag über SIRKA in der deutschen Ausgabe von „Technology Review“ erschienen ist, eilte der Hersteller mit einer Erklärung: man habe sich „bei SIRKA hinsichtlich Datenschutz „viele Gedanken” gemacht“, Betriebsräte wie Datenschutzbeauftragte, sowie Berufsgenossenschaften eingebunden.
.Der Datenschutz und Schutz persönlicher Daten insgesamt wird von den Nutzern moderner Wearables immer kritischer hinterfragt und geprüft. Der Nutzen, den die modernen Gadgets erzugenwird gegen die Kosten des Verlustes von Privatsphäre (und gegebenenfalls auch Beeinträchtigung persönlicher Freiheiten durch zunehmende Transparenz und Kontrolle) pragmatisch abgewogen. Es ist der Umgang mit personenbezogenen Daten der Nutzer, der gegebenenfalls für das Pro oder Contra des Kaufes entscheidend ist. Doch dass der Schutz personenbezogener Daten das Niveau von Beichtgeheimnis erreicht ist eher unwahrscheinlich – trotz der Tatsache, dass das deutsche Datenschutzgesetz (Bundesdatenschutzgesetz, BDSG) aktuell zu der restriktivsten Europas gehört. Man solle in Europa in Bezug auf den Datenschutz nicht schizophren werden, warnte – überraschend für die Szene und Datenschützer in Deutschland – Kanzlerin Angela Merkel auf dem Wirtschaftstag 2015 im Juni dieses Jahres. Big Data dürfe nicht als Bedrohung sondern als der Rohstoff der Zukunft und Wertschöpfungsmöglichkeit gesehen werden. Ihre Rede wurde als wegweisend für die Position Deutschlands in den aktuellen Verhandlungen über die EU-Datenschutzverordnung von den Medien bezeichnet.
Ethische Prothesen für Politiker und Manager? Nun, eventuell ist es schon zu spät dafür.
Aleksandra Sowa
[1] Lacroix, A. 2015. Unternehmen Unsterblichkeit. In: Philosophie Magazin Nr. 03/2015, 26–33, S. 29.
[2] Fischer, T. 2014. „Zweitgrößter Arbeitgeber. Kirchen punkten mit Premium-Marken“. In: nt-v, 21.8.2014, http://www.n-tv.de/wirtschaft/Kirchen-punkten-mit-Premium-Marken-article13466046.html (Zugriff: 2.6.2015)
[3] Das letzte Gesamtdeutsche Konkordat wurde im Jahr 1933 von Adolf Hitler unterzeichnet. Heute existiert in Deutschland eine Reihe von Konkordaten, die zwischen den jeweiligen (überwiegend katholischen) Bundesländern und dem Vatikan unterschrieben wurden. Geltung sollte ebenfalls das Preußenkonkordat vom Jahr 1924 haben.
[4] Schwan, B. 2015. „Der Anty-Schmerzen.Anzug”. In: Technology Review, 9.6.2015, http://www.heise.de/tr/artikel/Der-Anti-Schmerzen-Anzug-2596132.html (Zugriff: 16.6.2015).