Jack FAIRWEATHER: Ein herausragender Pole, der die Hölle aufhalten konnte

Ein herausragender Pole, der die Hölle aufhalten konnte

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Jack FAIRWEATHER

Britischer Journalist, Autor des Werkes The Volunteer, welches Witold Pilecki gewidmet wurde.

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Ich habe zum ersten Mal von Witold Pilecki im Jahre 2011 gehört als ich als Kriegsreporter im Irak und in Afghanistan gearbeitet habe. Einer der Journalisten, den ich damals getroffen habe, berichtete mir über seine Fahrt nach Auschwitz und darüber, dass es dort eine geheime Widerstandsbewegung gab.

Diese Geschichte hat mich erschüttert. Ich kam vorher nicht auf den Gedanken, dass es dort eine Widerstandsbewegung geben konnte. An solch einem Ort? Mir schien dies unglaubwürdig, schier unmöglich. So kam ich auch auf Witold Pilecki, der diese Bewegung dort erschuf. Je mehr ich über ihn gelesen habe, desto mehr war ich beeindruckt.

Schon allein die Art und Weise, wie er nach Auschwitz kam. Das war seine eigene Entscheidung. Er wurde dorthin nicht von den Deutschen deportiert, sondern kam in das Lager aus eigenem freiem Willen. Im Jahre 1940 ließ er sich bei einer Razzia auf den Straßen Warschaus verhaften und kam so mit einem der ersten Transporte ins Lager.

Ich habe mich gefragt, wieso er bereit war, sich solch einer großen Gefahr auszusetzen? Woher nahm er diese außergewöhnliche Entschlossenheit? Heute weiß ich es: von den Werten, die er vertrat. Rittmeister Pilecki war Katholik, der sehr mit seinem Glauben, der Liebe zu Gott und seinen Mitmenschen verbunden war. Darüber hinaus war er auch Patriot mit einer unglaublichen Liebe zu seinem Vaterland. Diese beiden Eigenschaften formten ihn als Menschen und waren entscheidend für seine Weltanschauung.

Der Angriff der Deutschen auf Polen im Jahre 1939 untergrub seinen starken Glauben an andere Menschen. Er zerstörte gar seine ganze Welt. Ihn selbst konnte er aber nicht brechen. Pilecki war der Ansicht, dass es auf der Welt wichtigere Dinge gab als ihn selbst. Und er war dafür bereit, sich selbst zu opfern, um die zerstörte Realität wieder zu reparieren. Deswegen ließ er sich in Auschwitz einsperren und begann dort, eine Widerstandsbewegung zu erschaffen. Er zeigte, wie sehr er von der Wahrheit überzeugt war, dass es das Schicksal eines jeden Menschen ist, sich einer größeren Sache zu opfern,. Diese Einstellung half vielen Häftlingen dabei, diese Hölle zu überleben.

Das Resultat seiner Zeit in Auschwitz waren seine Berichte, die er nach seiner Flucht 1943 verfasste und sie daraufhin nach London schickte. In seinen Berichten beschrieb er seine Erfahrungen und Beobachtungen aus den drei Jahren im Lager und fügte eigene Vorschläge hinzu. Er schlug u. a. vor, dass die alliierten Truppen sofort das Lager bombardieren sollten, auch wenn dies den Tod aller sich dort befindenden Personen bedeuten würde. Pilecki war der Ansicht, dass ihr Tod das kleinere Übel wäre als zu erlauben, dass die Konzentrationslager weiterhin bestehen bleiben würden.

Diese Appelle blieben ohne Antwort. Heute wissen wir, dass über diese Berichte u. a. die Anführer der britischen RAF debattiert haben, doch sie lehnten die Vorschläge ab, obwohl die Beschreibung des Dramas bleibenden Eindruck bei ihnen hinterlassen hat. Diese Berichte, die beschrieben, wie die Deutschen das Konzept der „Endlösung der Judenfrage in Europa“ realisiert haben (so bezeichneten die Nazis formell den Holocaust während der Wannsee-Konferenz 1942), erwiesen sich in London als nicht überzeugend genug.

Warum? Aus welchem Grund haben die Alliierten nichts unternommen, um den Holocaust zu verhindern oder ihn zumindest zu erschweren? Aus mehreren Gründen. Einer davon war das Desinteresse der amerikanischen und britischen Entscheidungsträger an dem Schicksal der europäischen Juden während des Krieges. Ihnen fehlte der Mut, um ihren Bürgern zu erzählen, was sich in solchen Lagern wie Auschwitz abspielte. Ihnen fehlte auch die Phantasie, denn trotz der Berichte von Pilecki konnten sie sich nicht vor Augen führen, wie weit die Nazis fähig waren zu gehen. Dies bewirkte, dass die Briten und Amerikaner versagt und keine Schritte eingeleitet haben, um die Todesmaschine, zu der die deutschen Konzentrationslager wurden, aufzuhalten.

Pilecki verstand zu Anfang auch nicht, was im Lager passierte. Er konnte es nicht fassen, dass die Deutschen nur deswegen Juden ermordet haben, weil sie Juden waren. Im Gegensatz zu den Amerikanern und Briten wandte Witold Pilecki sehr viel Kraft auf, um das Wesen des Holocaust zu verstehen. Er erlebte das Drama, welches sich im Lager abspielte, an eigener Haut und verstand als erster Mensch auf der Welt, was der Holocaust und Auschwitz tatsächlich waren.

Nach dem Krieg wurde er von den kommunistischen Machthabern in Polen zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 25. Mai 1948 vollstreckt. Witold Pilecki wurde in einem anonymen Massengrab bestattet.

Für seine Taten erhielt er nie eine Auszeichnung und das obwohl er mit seinem ganzen Leben gezeigt hat, was Patriotismus wirklich sein kann. Dies führt aber auch dazu, dass wir ihn bis heute gedenken. Denn er war eine von den Personen, die anderen geholfen hat, die Natur des Bösen zu verstehen.

Jack FAIRWEATHER

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