Prof. Harold James: Polens Erfolg

Polens Erfolg

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Prof. Harold JAMES

Professor für Europastudien an der von Claude und Lore Kelly gestifteten Fakultät an der Universität Princeton und offizieller Historiker des IWF. Er ist unter anderem Autor von: The German Slump (1986); The End of Globalization (2001) und The War of Words: A Glossary of Globalization (2021).

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Der Zusammenbruch des Sowjetkommunismus war ein Prozess, der seinen Ursprung in Polen hatte, als die Solidarność (Solidarität)-Bewegung endgültig den Zerfall eines repressiven und unmenschlichen Regimes herbeiführte. Eine starke Motivation in diesem Streben nach Wandel war der Wunsch, Kontakt mit internationalen Institutionen wieder aufzunehmen und nach Europa zurückzukehren.

Seitdem ist die wirtschaftliche Transformation Polens ein spektakulärer Erfolg, der von einem stetigen Wirtschaftswachstum begleitet wird. In der Tat war Polen der einzige Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem das Einkommenswachstum während der Finanzkrise 2008 aufrechterhalten wurde, und in jüngster Zeit ist es das Land, das die geringsten wirtschaftlichen Verluste infolge der Covid-19-Pandemie erlitten hat. Statistiken über den Lebensstandard werden natürlich auf vielerlei Arten interpretiert und verzerrt, aber sie zeugen von einer erstaunlichen Annäherung an Westeuropa. Das einfachste und intuitiv ansprechendste Maß ist die Lebenserwartung der Menschen. Im Jahr 1990 war die Lebenserwartung in Polen und der Ukraine fast identisch (70,9 bzw. 70,1 Jahre); im Vergleich dazu liegen die jüngsten Zahlen für 2019 bei 77,9 bzw. 71,8 Jahren. Die Polen leben heute besser und länger.

Diese Daten sind nicht das Ergebnis eines Zufall Ereignisses, sondern spiegeln vielmehr die Qualität der Institutionen sowie, von den Behörden verwendeten, Signale und Anreize wider. Der heutige Konsens unter Wirtschafts- und Politikwissenschaftlern weist auf Institutionen als Hauptfaktoren für die Gestaltung der Entwicklung hin. Gute Institutionen können jedoch nicht sofort geschaffen werden: Sie erfordern eine sorgfältige Debatte und nachhaltige Aufmerksamkeit bezüglich ihrer Gestaltung. Die Schaffung einer effizienten und dynamischen Rechts- und Wirtschaftsordnung hängt auch in hohem Maße von der Fähigkeit ab, von anderen zu lernen.

Nach herkömmlicher Ansicht, im Hinblick auf die Transformation, stehen die großen Ereignisse rund um die Wiedererlangung der Freiheit im Jahr 1989, das Charisma des polnischen Papstes Johannes Paul II. und die mutigen Visionen der Teilnehmer des Runden Tisches im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Der Aufbau von Institutionen dauerte dagegen viel länger: Er wurde erst Ende der 1990er Jahre des letzten Jahrhunderts abgeschlossen, und eben diese Leistung bildete den Rahmen für die Fortsetzung des Wirtschaftswunders.

Die Entwicklung der Institutionen spiegelte neue Erkenntnisse darüber wider, was sich als beste internationale Praktik bewährt hatte. In den 1980er Jahren entstand eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur über Inflation, makroökonomische Stabilität und Wirtschaftswachstum. Der neue Konsens deutete darauf hin, dass in den Industrieländern, wenn auch nicht ausschließlich, die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht nur mit niedrigeren Inflationsraten, sondern auch mit einer besseren Wirtschaftsleistung in Verbindung steht. Schon damals war bekannt, dass die Währungsbehörden häufig dem Druck der Politik ausgesetzt waren, was zwar ein höheres Geldmengenwachstum generierte, aber die Wachstumsraten langfristig nicht erhöhte.

Diese Literatur entstand ursprünglich aus der Überzeugung, dass die Einrichtung robuster Engagements Mechanismen ein wichtiges Element für die Glaubwürdigkeit der Politik (der Bank) ist. Dieser Ansatz betonte den rechtlichen Aspekt der Stellung der Zentralbanken und konzentrierte sich folglich auf die ausdrücklichen Bedingungen der Verträge oder Gesetze, die diese Banken ins Leben gerufen haben.

Die Neupositionierung der Zentralbank in Polen war eine Etappe der allgemeinen verfassungsrechtlichen Umstrukturierung und der Verabschiedung der neuen Verfassung im Jahr 1997. Dieser Weg ist nur als Teil einer anhaltenden Bestrebung nach einer institutionellen Annäherung an Europa und das europäische Ideal verständlich – zunächst durch die Mitgliedschaft in der Nordatlantischen Allianz und dann in der Europäischen Union. Eine unabhängige Zentralbank und eine Fiskalregel waren ein Element des Konvergenzprozesses. Das, im Artikel 216 (5) der polnischen Verfassung bestimmte Fiskalziel entspricht der im Vertrag von Maastricht und im EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten Grenze von 60%: „Es ist nicht gestattet, Darlehen aufzunehmen oder Garantien oder Finanz Bürgschaften zu gewähren, infolge derer die öffentliche Schuld des Staates drei Fünftel des jährlichen Bruttoinlandsprodukts übersteigt (…)”. Die Bestimmungen über die Zentralbank (Artikel 227 der polnischen Verfassung) sahen aus wie eine Wiederholung des Bundesbankgesetzes, in dem der Schwerpunkt auf der „Sicherung” des Geldwertes beziehungsweise eines stabilen Preisniveaus lag: „Die Narodowy Bank Polski ist für den Wert des polnischen Geldes verantwortlich”.

Dieser Schritt und die detaillierten Regelungen des Bankengesetzes von 1997 entsprachen denen in anderen Ländern der Welt. Die im Vertrag von Maastricht vorgesehene zweite Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion erforderte die Einleitung eines Prozesses, der zur Unabhängigkeit der Zentralbank führte. Im Jahr 1999 nahm die neue und völlig unabhängige Europäische Zentralbank ihre Tätigkeit auf.

In Polen war dieser Weg ein Erfolg, weil die Inflationsrate im Jahr 2002 auf das Niveau unter 2% sank, und dieses Inflationsniveau bot, über die Jahre, einen Rahmen, innerhalb dessen Geschäftsentscheidungen getroffen werden konnten, die zum Aufbau einer enorm wachsenden, unternehmerischen Wirtschaft führten.

Harold James

Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt. Jede Weiterverbreitung ohne Genehmigung des Autors ist untersagt. 10/11/2021