Jakub KUMOCH, Jędrzej USZYŃSKI: Ein polnischer Botschafter hat während des Krieges das Leben des späteren französischen Ministerpräsidenten gerettet

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Jakub KUMOCH

Botschafter der Republik Polen in Bern.

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Jędrzej USZYŃSKI

Diplomat der polnischen Botschaft in Bern.

Ryc. Fabien Clairefond

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Eine unglaubliche Geschichte, die kürzlich in Schweizer Archiven gefunden wurde, zeugt vom Heldentum und der Aufopferung der Polen, die anderen Menschen während des Krieges geholfen haben.

Ein französischer Kriegsheld und späterer Ministerpräsident Frankreichs konnte dank eines polnischen Passes aus dem besetzten Europa fliehen. Der Pass wurde vom Konsul Konstanty Rokicki auf Anordnung des polnischen Botschafters in der Schweiz, Aleksander Ładoś, ausgestellt. Rokicki rettete tausende Juden, indem er die für ihre Rettung notwendigen südamerikanischen Dokumente fälschte. 

Dank der von den Polen erhaltenen Dokumente konnte Pierre Mendés France aus Vichy-Frankreich nach London gelangen. Der Weg war nicht einfach. Erst eine bravouröse Flucht aus Vichy in die Schweiz, ein Versteck in Genf, die Angst vor der Verhaftung durch französische Kollaborateure und letztendlich ein falscher polnischer Pass, der von polnischen Diplomaten ausgestellt wurde sowie der Kampf an der Seite von de Gaulle.

Es war wie in einem Drehbuch für einen Actionfilm: Im Sommer 1941 flieht Pierre Mendés France, ein Feind von Pétain und ehemaliger Abgeordneter und Vizeminister, aus dem Gefängnis in Clermont-Ferrand und kommt auf einem Fischerboot illegal in Saint-Prex an, ca. 40 km entfernt von Genf. Er nimmt dort Kontakt zu Gerhard Riegner und Abraham Silberschein, den Vorsitzenden des Hilfskomitees für die kriegsbetroffene jüdische Bevölkerung RELICO, auf. Silberschein, ein polnischer Abgeordneter aus der Vorkriegszeit, steht seit mindestens 1940 in engem Kontakt mit der polnischen Botschaft in Bern. Um Mendés France zu helfen leitet er seinen Fall an den polnischen Botschafter Aleksander Ładoś weiter. Ładoś stand an der Spitze der einzigen diplomatischen Stelle in Bern, in der Dokumente für Juden gefälscht wurden. Ausgeführt wurde dieser Auftrag vom loyalen Konsul Konstanty Rokicki.

Im damaligen Frankreich von Marschall Pétain befanden sich sehr viele polnische und jüdische Flüchtlinge. Das Vichy-Regime hätte sich sehr gerne ihrer entledigt. Spanien nahm Flüchtlinge auf aber nur mit einem Visum eines anderen Landes. Der Passierschein für solch eine Ausreise war ein polnischer Pass mit einem südamerikanischen Visum. Abraham Silberschein besorgte France ein kubanisches Visum, Aleksander Ładoś wiederum den polnischen Pass. Die Diplomaten haben für France die Dokumente des polnischen Flüchtlings „Jan Lemberg“ präpariert. Für sie war es eine von tausenden Fälschungen, die sie für die Rettung von unbekannten Juden angefertigt haben, für France hingegen – die Erlaubnis weiter zu leben und gegen die Deutschen zu kämpfen. So konnte France sich durch die Grenze durchschmuggeln und nach Spanien gelangen. Im Jahre 1942 war er bereits in London.

Aleksander Ładoś und Konstanty Rokicki fälschten nach der Ausreise von France noch paraguayische Pässe für über 4000 Juden. Sie halfen u. a. Fanny Schwab und einem beachtlichen Teil der Leitung von Oeuvre de Secours aux Enfants bei der Flucht. Auch die beste Freundin von Anne Frank sowie Bob Herschberg, ein niederländischer herausragender Mathematiker und einer der Pioniere von Schachcomputern, und tausende andere Menschen konnten dadurch gerettet werden. Viele von ihnen, die damals noch Kinder waren, leben bis heute.

Pierre Mendés France war nach dem Krieg in den Jahren 1954-1955 Ministerpräsident von Frankreich und der politische Mentor von François Mitterand. Der polnische Konsul Rokicki lehnte nach dem Krieg eine Zusammenarbeit mit der von den Sowjets aufgestellten polnischen Regierung ab und blieb als Flüchtling in der Schweiz. Vergessen von der Geschichtsschreibung starb er im Juli 1958. Sein Grab wurde erst 2018 wiedergefunden. Polen entdeckt erst jetzt seinen Helden.

.Konstanty Rokicki und Pierre Mendès France haben sich wahrscheinlich nie persönlich getroffen.

Jakub KUMOCH, Jędrzej USZYŃSKI

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