Prof. Zdzisław KRASNODĘBSKI: Unbezahlbare Werte, die für Polen so wichtig sind

Unbezahlbare Werte, die für Polen so wichtig sind

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Prof. Zdzisław KRASNODĘBSKI

Soziologe, Professor an der Universität Bremen, polnischer Abgeordneter des Europäischen Parlaments.

Ryc.Fabien Clairefond

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Ich hörte: „Polen hatte keine Chance als es zwischen Hitler und Stalin eingeschlossen wurde, aber zumindest hatte es seine Ehre gerettet.”

.Erinnern wir uns mal an die grundlegenden Fakten. Polen lehnte die seit Herbst 1938 wiederholt vorgebrachten Forderungen Hitlers ab und wurde am 1. September 1939 angegriffen, womit der Zweite Weltkrieg begann. Polen wehrte sich, wurde aber in einem scheinbaren „Blitzkrieg“ schnell besiegt.

Und doch einen ganzen Monat mussten mächtige deutsche Streitkräfte in den nachfolgenden Schlachten kämpfen und die Verluste der Wehrmacht beliefen sich auf 60.000 Soldaten. Die polnische Regierung wurde evakuiert nachdem die sowjetische Armee am 17. September in Polen einmarschierte. 

Es lohnt sich auch zu erinnern, dass als die deutsche Armee am 10. Mai 1940 in den Westen zog, die Niederlande fünf Tage Widerstand leistete, Belgien 18 Tage, Dänemark einen Tag und Luxemburg bereits nach weniger als einen Tag aufgab. Brüssel wurde nach nur sieben Tagen kampflos eingenommen und die deutsche Armee marschierte am 14. Juni in Paris ein, das zuvor zu einer „Offenen Stadt“ deklariert wurde. Frankreich, das zu der Zeit die drittgrößte Landarmee der Welt besaß, kapitulierte schon am 22. Juni.

Die polnischen Soldaten kämpften nach 1939 weiter: in Narvik, in Tobruk, in der Luftschlacht um England, am Monte Cassino und an der Ostfront. In Polen fand auch die größte Schlacht der Widerstandsbewegung in Europa statt – der 63-tägige Warschauer Aufstand von 1944. Letztendlich musste Polen bis 1989 warten um die Souveränität zurückzugewinnen, was  unter anderen Umständen und auf eine andere – diesmal völlig friedliche – Weise geschah

Hatte Polen im September 1939 keine andere Wahl? Natürlich gab es die Lösung, die von vielen Ländern vorgezogen wurde – die Zusammenarbeit mit dem Dritten Reich. Heute behauptet eine kleine Gruppe polnischer Journalisten und Historiker, dass Hitlers Bedingungen hätten akzeptiert werden müssen. Polen hätte auch zumindest zeitweise ein Verbündeter Hitlers im Kampf gegen das Sowjetrussland werden sollen, da die Gefahr aus Moskau größer war als die aus Berlin. 

Diejenigen, die so argumentieren, weisen auf die schrecklichen Folgen des Zweiten Weltkriegs für Polen hin: der Verlust von fast sechs Millionen Bürgern, den Holocaust und die Ausrottung der polnischen Intelligenzija, auf die fast vollständige Zerstörung Warschaus, auf das Massaker an Zivilisten im Warschauer Bezirk Wola in den ersten Tagen des Aufstands im August 1944. Wenn es um Sowjets geht, erinnert man sich an die Deportationen nach Sibirien und Massenexekution polnischer Offiziere in Katyń und in anderen Orten. Vor allem weist man jedoch auf den Verlust der Souveränität. Dazu kommt noch das bittere Gefühl, die Alliierten hätten Polen im Stich gelassen. 

 Anbetracht all dessen klingen die Worte, die Minister Józef Beck am 5. Mai 1939 sprach: „Wir in Polen kennen den Begriff des Friedens nicht um jeden Preis. Es gibt nur eine Sache im Leben von Menschen, Nationen und Staaten, die unbezahlbar ist. Das ist Ehre” als eine typisch polnische Großsprecherei. Bei näherer Betrachtung erweist sich die spät vorgeschlagene „Realpolitik” jedoch als weitaus weniger realistisch als jene Politik, die an die Ehre oder – wie wir heute sagen würden, ohne dieses „unmoderne Wort” zu verwenden – Würde appelliert. Das geben auch kritische Außenbeobachter zu. Als ich von ein paar Jahren an einer amerikanischen Elite-Universität weilte, an der viele negative Publikationen über Polen unter deutschen Besatzung entstanden sind, ergab sich eine Diskussion zu diesem Thema, bei der ich hörte: „Sie können nichts Anderes tun. Zwischen Hitler und Stalin hatte Polen keine Chance, keine Wahl, aber es hatte allerdings zumindest seine Ehre gerettet.“

Polen überlebte – und es überlebte auch dank seiner Treue zu den Werten, die es dem Land ermöglichten, einer Sowjetisierung zu widerstehen. Das Bewusstsein, dass wir uns so verhalten haben, wie wir sollten, war die Quelle unserer Stärke.

 Die Polen schätzen die derzeitige politische Ordnung Europas und unterstützen in ihrer überwiegenden Mehrheit die EU. Wir sind uns jedoch der Risiken bewusst. Das Schicksal Europas hängt immer noch davon ab, ob Russland auf seine neoimperialen Bestrebungen verzichtet – wie Deutschland, das heute ebenso wie Polen Frieden und gutnachbarschaftliche Beziehungen wertschätzt.  Wir bleiben auch weiter empfindsam für die Werte wie Ehre und Würde. Deshalb erwarten wir von unseren europäischen Partnern, dass sie unsere demokratische Wahl, unsere Selbständigkeit und unseren Ruf respektieren. Ohne gegenseitigen Respekt und ohne solche scheinbar anachronistischen Werte wird die gegenwärtige europäische Ordnung, die wir so schätzen, instabiler und weniger gerecht sein, als wir es uns wünschen würden.

Prof. Zdzisław Krasnodębski

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