Der polnische Staat wird die Rückgabe polnischer Kulturgüter nicht aufgeben
Die weit verbreitete und vorsätzliche Plünderung polnischer Kunstwerke durch die deutschen und sowjetischen Okkupanten hinterließ in der polnischen Kultur ein ergreifendes Gefühl des Verlustes. Die vom polnischen Ministerium für Kultur und nationales Erbe geführte Datenbank der Kriegsverluste zählt fast 66.000 Objekte, was ein Teil der auf 516.000 geschätzten Zahl der verlorenen Werke ist.
.Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs begann Deutschland eine konsequente und gezielte Kampagne, um Polen von der europäischen Landkarte zu tilgen. Die polnische Nation sollte ihrer geistigen Elite, ihrer Identität und ihrer Unabhängigkeit beraubt werden. Zerstörung und Plünderung entgingen der polnischen Kultur nicht. Literatur, Musik, Film, Theater, bildende Kunst – alle Kulturbereiche erlitten unersetzliche Verluste, die noch heute spürbar sind.
Polen hat im Verhältnis zu seiner Vorkriegs-Bevölkerung die meisten Bürger während des Zweiten Weltkrieg verloren. Jeder sechste polnische Bürger der Vorkriegszeit kam ums Leben. Die Verluste, die durch die Ausrottung der Eliten – Professoren, Ingenieure, Juristen, Politiker, Priester, Studenten, Kulturschaffende – entstanden sind, können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ihr Tod verlangsamte für viele Jahre die Ausbildung neuer intellektueller und künstlerischer Eliten und bremste die Entwicklung der polnischen Kultur.
Es gibt nur einen Bereich, in dem das historische Unrecht, das durch die Handlungen der Besatzungsmächte verursacht wurde, zumindest teilweise gutgemacht werden kann: Die geplünderten, aber unzerstörten Kulturgüter, die aus Polen ausgeführt wurden, können noch nach Polen zurückkehren.
Polnische Kriegsverluste werden auf der ganzen Welt gefunden – sowohl in öffentlichen als auch in privaten Sammlungen. Die nachfolgenden Generationen wissen oft nichts über die Geschichte und Herkunft dieser Gegenstände. Vielen ist auch nicht bewusst, wie zerstörerisch die Besatzungsmacht mit dem kulturellen Erbe auf polnischem Gebiet umgegangen ist. Die Verluste an beweglichen Kulturgütern in Polen werden auf mehr als 516.000 geschätzt, wobei allein die Museen etwa 50 % ihrer Sammlungen verloren haben und der Verlust der Bibliotheken auf 70 % des Vorkriegszustands geschätzt wird. Diese Zahlen wurden sicher zu niedrig geschätzt, da die Dokumentation der Sammlungen und Bibliotheken in der Regel ebenfalls beschlagnahmt oder absichtlich zerstört wurde.
Von Anfang des Krieges an waren die polnischen Kunstsammlungen ein Schlachtfeld im Kampf um die Einfluss zwischen den Vertretern der höchsten Instanzen des Dritten Reiches: Reichsführer-SS Heinrich Himmler, Oberbefehlshaber der Luftwaffe Hermann Göring und Hans Frank, dem Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete. In den westlichen Gebieten Polens, in das Reichsgebiet eingliederten, gab es eine von Göring eingesetzte Haupttreuhandstelle Ost, während das aus den besetzten Gebieten gebildete Generalgouvernement das Spielfeld des Einsatzkommando Paulsen – war, das im Strukturgefüge des von Himmler eingesetzten „Ahnenerbe” tätig war, ein Sonderbeauftragten für den Schutz und die Sicherung von Kunstwerken in den besetzten Ostgebieten – Dr. Kajetan Mühlmann, der von Göring nach Krakau geschickt wurde, Sonderbeauftragter Hitlers für den Aufbau der Sammlung des Sonderauftrages Linz, Dr. Hans Posse, und schließlich Generalgouverneur Hans Frank selbst, dem die Aktivitäten aller anderen an der Plünderung von Kunstwerken beteiligten Einheiten nicht gefiel.
Die Deutschen verstießen wissentlich gegen die Bestimmungen der Haager Konvention, versuchten aber, den Plünderungen den Anschein von Gesetzlichkeit zu geben. Sowohl in den polnischen Gebieten, die dem Dritten Reich eingegliedert wurden, als auch im Generalgouvernement wurden Runderlasse und Verordnungen erlassen, die die Beschlagnahme von Kunstwerken aus privaten, kirchlichen und auch öffentlichen Sammlungen genehmigten.
Das Wirken der Besatzungstruppen auf polnischem Gebiet wurde von Joseph Goebbels’ Gedanken geleitet: „die Polnische Nation es nicht wert sei, eine zivilisierte Nation genannt zu werden“. Die Zerstörung der polnischen Kultur erfolgte auch durch ihre absichtliche Unterbewertung. Die Deutschen bewiesen die Abhängigkeit der sich in den polnischen Gebieten entwickelnden Kunst von der deutschen Kunst beziehungsweise ihren geringen eigenständigen künstlerischen Wert. In der Einleitung des Katalogs Sichergestellte Kunstwerke im Generalgouvernement, der die Arbeit von Mühlmanns Team zusammenfasste und eine Beschreibung von über 520 der wertvollsten Kunstwerke enthielt, die aus polnischen Sammlungen beschlagnahmt wurden, kann man lesen: „Von einer selbstandigen polnischen Kunstentwicklung in den historischen Stilepochen zu sprechen erübrigt sich. Es gibt Schöpfungen deutschen Gepräges, und es gibt holländische oder vlämische Werfe, die ihrem ganzen Geist und Charakter nach gleichfalls nichts anderes zum Ausdruck bringen als deutsches Wesen und deutsche Kulturkraft. Französisches und Italienisches ist in der Minderzahl.“
Ebenfalls im November 1939 in Polen angekommen, schrieb Dr. Hans Posse – Direktor der Gemäldegalerie in Dresden und Sonderbeauftragter Hitlers für den Aufbau der Sammlung des Sonderauftrages Linz – mit ironischem Unterton: „In Krakau und Warschau konnte ich öffentliche und private Sammlungen sowie kirchliche Einrichtungen besuchen. Die Besichtigung bestätigte meine Vermutung, dass es außer den uns in Deutschland bereits bekannten Kunstwerken von höchstem Rang, also dem Hochaltar von Veit Stoß und den Altarbildern von Hans Süss von Kulmbach aus der Marienkirche in Krakau, Raffael, Leonardo und Rembrandt aus der Sammlung Czartoryski und einigen Exponaten aus dem Nationalmuseum in Warschau, nicht viele Exponate gibt, die die deutsche Gemäldesammlung erweitern würden.”
Die institutionalisierten und extensiven deutschen Plünderungen wurden begleitet von undokumentierten Requirierungen durch deutsche Würdenträger und ihre Familien, die Kunstwerke zum Beispiel für die Ausstattung von Büros, Quartieren und Wohnungen mitnahmen. Das Wissen um die drohende Niederlage Deutschlands und die fortschreitende Ostfront führten 1944 zu einer neuen Welle von Plünderungen – gewöhnliche Diebstähle, die auch von einfachen Soldaten verübt wurden. So wurden neben den geplanten Plünderungen auch viele Kunstwerke aus den Sammlungen des Nationalmuseums in Warschau und anderen polnischen Sammlungen, auch aus Privatbesitz, geraubt und tief ins Reich transportiert.
Deutschland war nicht das einzige Land, das polnisches Kulturgut zerstörte und plünderte. In den östlichen Grenzgebieten der Polnisch-Litauischen Gemeinschaft, die in die UdSSR eingegliedert wurden, wurde der Privatbesitz konfisziert, ausgeraubte Kirchen wurden in Lagerhäuser umgewandelt, und Kunstwerke, die aus Mittel- und Westpolen in die Grenzgebiete evakuiert worden waren, wurden von der Roten Armee eingezogen. Die zweite Etappe der sowjetischen Plünderung war die Offensive der Ostfront, die von Beute-Brigaden begleitet wurde. Diese Einheiten, die sich aus Spezialisten verschiedener Kunstbereiche zusammensetzten, sollten dafür verantwortlich sein, die UdSSR für die Verluste zu kompensieren, die ihr von den Deutschen nach Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges zugefügt wurden. Es zeigte sich jedoch bald, dass aus der geplanten Entschädigung der übliche brutale Raubzug wurde, der auch vor polnischen Denkmälern nicht Halt machte. Die von den Deutschen eingerichteten Lager für die geraubten Kunstwerke wurden von den Sowjets übernommen. Einige dieser Objekte wurden später während der kommunistischen Ära als Geschenke der „brüderlichen Sowjetnation” zurückgegeben, aber viele ruhen noch immer in den Hallen der russischen Museen.
Die weit verbreitete und vorsätzliche Plünderung polnischer Kunstwerke durch die deutschen und sowjetischen Okkupanten hinterließ in der polnischen Kultur ein ergreifendes Gefühl des Verlustes. Ein Verlust, der auch mehr als 80 Jahre nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch immer deutlich spürbar ist und schmerzt. Die vom polnischen Ministerium für Kultur und nationales Erbe geführte Datenbank der Kriegsverluste zählt fast 66.000 Objekte, was ein Teil der auf 516.000 geschätzten Zahl der verlorenen Werke ist. Das polnische Kulturministerium führt seine Bemühungen um die Dokumentation, Suche und Wiedererlangung verlorener Kunstwerke fort und setzt damit die Arbeit polnischer Museumsfachleute, Archivare und Bibliothekare fort, die bereits im September 1939 damit begannen, die Verluste von Sammlungen, Archiven und Buchbeständen zu erfassen. Jedes Jahr stellt der Kulturminister im Rahmen eines Sonderprogramms Geld für die Erforschung verlorener Sammlungen zur Verfügung. Als Ergebnis dieser Aktivitäten konnte die Kriegsverlustdatenbank seit 2017 mit fast 3.000 Einträgen von bisher nicht identifizierten Objekten, die durch den Zweiten Weltkrieg verloren gegangen sind, angereichert werden. Die in der Datenbank enthaltenen Informationen bilden die Grundlage für die Suche und die anschließende Rückgabe von während des Krieges verlorenen Kunstwerken.
Die vom Ministerium für Kultur und Nationales Erbe der Republik Polen durchgeführten Restitutionsmaßnahmen sowie die vielen Informations- und Bildungsprojekte, die im Laufe der Jahre durchgeführt wurden, tragen dazu bei, das Bewusstsein für die Problematik der Kriegsverluste zu erweitern. Die spürbare Auswirkung dieser Aktivitäten ist eine Zunahme der Informationen über den möglichen Aufbewahrungsort gesuchter Kulturgüter und – leider nur vereinzelt – Gesten von Menschen, die von ihren Vorfahren beschlagnahmte Kunstwerke in ihre Heimatsammlungen zurückbringen. Dies hat ein deutscher Staatsbürger getan, der ein Gemälde von Franciszek Mrazek, Auf dem Herdstein, zurückgab, das sein Großvater, der als Wehrmachtsoffizier im Palast in Spala stationiert war, im Zweiten Weltkrieg geraubt hatte. Ende 2018 wurde auch eine rotfigurige Lekythos, ein von den Nazibehörden gestohlenes antikes Gefäß, von einem deutschen Privateigentümer in die Sammlung des Nationalmuseums in Warschau zurückgegeben. Das Kunstgewerbemuseum in Dresden wiederum gab dem König-Johannes-III-Palastmuseum in Wilanów einen Schreibtisch und einen Kabinett im chinesischen Stil zurück, die aufgrund von Provenienzstudien, die von Dresdner Museumsfachleuten durchgeführt wurden, als polnische Kriegsverluste identifiziert wurden.
Auch wenn diese Einzelfälle ermutigend sind, so muss man doch bedenken, dass dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein der geraubten Kulturgüter ist, die in privaten Sammlungen gelagert und oft versteckt werden. Nur ein Umdenken der Behörden und eine Änderung der Gesetzgebung in Ländern wie Deutschland, wo im Zweiten Weltkrieg geraubte und aus Polen verbrachte Kunstwerke noch immer gelagert und auch zum Verkauf angeboten werden, kann dazu führen, dass die Bürger dieser Länder diese Objekte in ihre Heimatsammlungen zurückgeben müssen.
.Erinnern wir uns daran, dass Fälle von Plünderungen von Kulturgütern nicht verjährt sind, und zwar nicht nur in ethischer und moralischer Hinsicht, sondern auch im Bereich des internationalen Rechts. Aufgrund des besonderen Charakters von Kunstwerken und ihres immateriellen Wertes ist die Rückgabe geraubter Objekte an den Ort, an dem sie gestohlen wurden, die geeignetste Form der Wiedergutmachung, unabhängig von Lösungen wie Reparationen, Digitalisierung oder Herstellung von Kopien. Die Restitution ist ein fortlaufender und endloser Prozess, und der polnische Staat wird nie aufhören, ihn zu verfolgen. Wenn wir uns auf ein neues Gebiet der Rückgabe von Kulturgütern begeben, wie die jüngsten Beispiele der Rückgabe von geraubten Kolonialgütern an ihre Herkunftsländer durch westeuropäische Museen, sollten wir uns daran erinnern, dass die Rückgabe von Kunstwerken, die während des Zweiten Weltkriegs geraubt wurden, immer noch ungelöst ist.
Piotr Gliński